Der Bund

Mittwoch, 01. Juli 2020

Originalbeitrag: Der Bund


Die pinke Penetranz

Immer wieder werden in Bern Ideen eingebracht, um die Stadt zu verschönern. Wieso man da genau hinschauen sollte, zeigt das Vorhaben einer Marketingfrau auf der Aare.

Martin Erdmann

 

Es gibt wohl nur eines, auf das sich die Bewohner Berns einigen können: Sie leben in der schönsten Stadt der Welt. So werden sie nie müde, die Vehemenz dieser Überzeugung zur Schau zu stellen. Wenn beispielsweise ausländische Medien in einem Nebensatz lobende Worte über die Farbe der Aare finden, wird der entsprechende Artikel mit geschwellter Brust auf den sozialen Medien geteilt, bis Twitter und Facebook kurz vor dem Kollaps stehen.

Dieser ausgeprägte Lokalpatriotismus kann zwar manchmal etwas selbstverliebt wirken, hat aber auch sein Gutes. Denn wenn es jemand in Erwägung zieht, das geliebte Stadtbild zu ändern, wird mit Argusaugen über das Vorhaben gewacht und dieses – wenn nötig leidenschaftlich – mit Schmäh überzogen. So, wenn zum Beispiel der Weihnachtsbaum auf dem Bundesplatz etwas weniger buschig ist als im Vorjahr oder das Stadtgebiet als Marketing-Gag mit Bernhardiner-Skulpturen überschwemmt wird.

 

Kraken als Repräsentanten

Nun ist neues Ungemach im Anmarsch. Dieses droht, sich ausgerechnet im Herzstück der Stadtberner Heimatliebe auszubreiten: auf der Aare. Der aktuelle Angriff auf Berns unbescholtenes Äusseres sind Gummiboote. Sie heissen Septipus, sind einer siebenarmigen Krake nachempfunden, sollen als Kunst aufgefasst werden und künftig als repräsentative Figuren der ganzen Region fungieren.

So also das Ausmass der Bedrohung, das am Dienstagmorgen im Eichholz erstmals den Medien vorgestellt wurde. Hinter diesem Plan steckt die umtriebige Berner Marketingfrau und selbsternannte Visionärin Cordelia Hagi. Sie ist bekannt für ihre Passion für die Farbe Pink, ist in der Miss-Bern-Jury ein genauso gern gesehener Gast wie bei der «Schweizer Illustrierten» und setzt sich seit fünf Jahren mit ihrem Verein Delia dafür ein, entlang der Aareschlaufe «Attraktionen mit internationaler Ausstrahlung» zu schaffen.

«Die Welt ist wieder in Ordnung.», Cordelia Hagi, Werbefachfrau

Mit einer Armada von 30 Septipussen im Rücken versuchte sie, zu erklären, wieso die Stadt gerade in der Krisenzeit ihre Gummiboote kaufen soll. Das klang wie eine Mischung aus PR-Sprech und Leitfaden der Rudolf-Steiner-Schule. Beispiel: «Die Kunstinstallation ist nicht nur für Bern, sondern für die ganze Welt jeden Tag eine Umarmung. Die Welt ist wieder in Ordnung.» Aus unerklärten Gründen wurde die Ansprache von Schlangenfrau Nina Burri begleitet, die im Hintergrund diverse Verrenkungen vollführte.

 

Wie auf LSD

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die ankündigte Invasion der Tintenfische bei weitem nicht das Unheilvollste ist, was Hagis Kopf zu erdenken vermag. Ein Video von 2015 zeigt, zu was ihr Erfindergeist im Hochbetrieb fähig ist. Eine Gondelbahn, deren Kabinen wie Lampions von der Münsterplattform über die Aare schweben, ein schlangenartiges Wesen, das haushohe Bögen über das Ufer schlägt, und ein gigantischer Bär, der über all dem wacht. Kurz: ein Psychose versprechender Cocktail zwischen LSD-Trip und «Alice im Wunderland».

Hagi sei eben ihrer Zeit voraus, verkündete der städtische Sicherheitsdirektor Reto Nause, der auch im Delia-Vorstand sitzt. Vielleicht täuscht er sich dabei. Vielleicht wäre es eher an der Zeit, Berns natürliche Schönheit vor dem Ideenreichtum selbstbetitelter Visionäre zu schützen. Gerade wenn es um die Aare geht, dürfte flussauf, flussab eindeutige Einigkeit herrschen, dass jegliche Schönheitsideale erfüllt werden und künstliche Eingriffe wohl nur dem Geltungsdrang von Einzelnen dienen.

Und: Wie wollen ausländische Medien in Nebensätzen künftig lobende Worte über die Farbe der Aare finden, wenn der Fluss mit pinkfarbenen Krakenbooten vollgestopft ist?